2.II.1916 “Manchmal hat man vor eintretenden Dingen ein Grauen”

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 2. II. 1916

                                                                                                                                         Etain, den 2. 2. 16

Mein Urlaubsgesuch, das vom Regiment und der Brigade auf 10 Tage befürwortet der Division vorgelegt war, ist von dieser abgelehnt worden. Es kam eben gerade, als das Gesuch bei der Division lag, der Befehl vom A. O. K., dass Urlaub nur noch in den dringendsten Fällen gewährt werden dürfe. Ich hoffte immer noch, dass es bis zum Korps gegangen wäre. Dann hätte Exzellenz von Gündell mir schon Urlaub gegeben, ebenso wie Herr Major von Langsdorff, der nun doch gefahren ist, und zwar auf 24 Tage nach Baden-Baden. Na, aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Wenn die Urlaubssperre vorüber ist, reiche ich nochmal ein und dann kriege ich sicherlich. Ich bin eben ein paar Tage zu spät gekommen. Ich wollte erst gar nicht ran. Erst auf Deine Bitten hin reichte ich ein. Ich habe nicht mehr so viel zu tun. Morgen muss ich prüfen, ob in der Stellung die niedergelegten Bestände an Ess- und Trinkvorräten, Licht und Notdurft … (?) vollzählig vorhanden sind. Das Wetter ist trockener. Die schlimmste Jahreszeit ist vorbei. Was wir jetzt an Entwässerung in den Gräben bauen, wird uns nächsten Winter sehr zugute kommen. Ich denke, da wird kein solches Schlamassel eintreten und unsere Grabenverkleidungen werden halten. Man guckt hier im Festungskrieg in alle möglichen Handwerke herein. Manche Fachausdrücke sind mir jetzt so geläufig, als ob mein Vater Maurer, Schmied oder Zimmermann sei. Dein Brief vom 30. 1. freute mich sehr. … Ich hoffe aber, der Umzug wird erleichtert dadurch, dass Gerhart und ich fehlen. Strenge Dich nur nicht zu sehr dabei an. Manchmal hat man vor eintretenden Dingen ein Grauen, und wenn sie sich dann wirklich ereignen, ist immer alles halb so wild. So geht es mir wenigstens. Zuerst graute ich mich davor, Leutnant zu sein, und jetzt geht doch alles tadellos. Wem Gott ein Amt gibt, gibt er auch Verstand. Durch Eifer und „Sich-hineinleben“ kann man vielfach Vorkenntnisse ersetzen. Ich hatte doch von den technischen Dingen wenig Ahnung, und jetzt kann ich schon mitreden. Mit Herrn Hauptmann Frentzen, Führer der Pionierkompanie, die I/19 unterstellt ist, kann ich fast schon fachsimpeln. Neulich trank ich nachmittags bei ihm Kaffee. Er spielt beim Bataillon eine große Rolle. Er ist energisch, streng und rücksichtslos, aber stets sachlich (Sachlichkeit, d. i. Gerechtigkeit ist bei mir die höchste Tugend) und persönlich sehr nett. (Zivilberuf: Regierungsbaumeister, zuletzt im Ministerium für Bauten tätig). Also habe recht viel Humor beim Umzug. Bei jedem Kratzer, den die rohen Packknechte den schönen Polituren zufügen, musst Du sagen „verflucht“ und dann lachen. Dann bist Du militärisch. Hoffentlich kommt Gerhart nun auf Urlaub, wenn er so herunter ist.

Gruß,

Wolfgang

 

Kaizo

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In August 1922 Tadayoshi Akita, an editor of the Japanese journal “Kaizo”, asks Husserl to write an essay for this journal. Interesting that Akita translates in his letter KAIZO as “Reconstruction” and not as “renewal” (Erneuerung). Husserl sends an article which he titled “Erneuerung. Ihr Problem und ihre Methode” (“Renewal. Its Problem and Its Method”). In the following year he sends more articles: “Die Methode der Wesensforschung” (“The Method of Essential Inquiry”) and “Erneuerung als individualethisches Problem” (“Renewal as an Ethical Problem for the Individual”).

Husserl’s article “Die Idee einer philosophischen Kultur. Ihr erstes Aufkeimen in der griechischen Philosophie” (The Idea of a Philosophical Culture. Its Original Germination in Greek Philosophy”) was published in 1923 in “Japanisch-deutsche Zeitschrift für Wissenschaft und Technik”.

See the Front- and backside of Husserl’s copy of the journal “Kaizo” (March, 1923). The translation of his article: “Erneuerung. Ihr Problem und ihre Methode” (p. 84-92) into Japanese can be found in the same journal on p. 68-83.

Kaizo - Cover a Kaizo - Cover b

 

31.I.1916 “Wir haben hier dieselbe Ahnung wie ihr”

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Wolfgang Husserl an G. Husserl, 31. I. 1916

 

Lieber Gerhart!                                                                                               <Poststempel> 31. 1. 1916

Deine Karte vom 25. des Monats erhalten. Vielen Dank! Wir haben hier dieselbe Ahnung wie ihr. Mit Urlaub sowohl zu Dir hin als nach Hause ist es nichts, da nach dem gestrigen Regimentsbefehl Urlaub nur noch in den dringendsten Fällen gewährt werden soll. Allerdings ist mein Gesuch um Erholungsurlaub nach Göttingen schon vor dieser Verfügung ans Korps gegangen und bisher noch nicht beantwortet. So habe ich noch ein Fünkchen Hoffnung. Willst Du Dich nun zu Regiment 19 versetzen lassen? Wenn ich Deine Einwilligung habe, gehe ich zum Regimentskommandeur. Es wäre doch schön, wenn wir wieder zusammen wären, falls die Sache wirklich losgeht.

Es grüßt herzlichst,

Wolfgang

Wie stellst Du Dich zu Papas Berufung? Ist es nicht sehr schön?

Als Absender dürfen wir nur noch Regiment und Kompanie angeben. Für Dich bleibt die Adresse dieselbe.

Jan Patočka: “Der Glaube an eine geistige Sendung der Philosophie verbindet alle Phänomenologen”

Patocka, Husserl and Fink (Freiburg Lorettoberg Mercystr, probably end of 1934)

 

In the following letter Jan Patočka thanks the former director of the Husserl-Archives, Samuel Ijsseling, for sending him copies of “Die Welt des Menschen – die Welt der Philosophie” (Phaenomenologica 72).

Patočka writes a few weeks before his death:

“Ich kann die große Ehre, die mir da <bezüglich der Festschrift> zuteil geworden ist, nur als Vertreter derjenigen verstehen, die auch unter weniger günstigen Bedingungen bemüht sind um eine Kontinuität der geistigen Gemeinschaft in Philosophie und Geistewissenschaft, die auch hierzulande zahlreicher sind als es vielleicht scheinen möchte. Der Glaube an eine geistige Sendung der Philosophie verbindet alle Phänomenologen, welcher Abschattung sie sich auch verpflichtet fühlen mögen.” (23.XII.1976)

Patocka's letter to S. jsseling (Dec. 1976)
Patocka’s letter to S. jsseling (Dec. 1976)

facebook - Patocka

30.I.1916 “Ich denke, in Freiburg wird‘s auch nett werden”

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 30. I. 1916

 

Liebe Mama!                                                                                                        Etain, den 30. 1. 1916

Ich habe das Bedürfnis, mal wieder ausführlicher als bisher nach Hause zu schreiben. Wieder hat eine für mich sehr schöne und lehrreiche Zeit geendet, die Vertretung des beurlaubten Leutnants Wendelstadt, der heute wiedergekommen ist, und dem ich mit Stolz die Arbeiten, die ich um ein merkliches Stück vorwärts gebracht habe, übergeben konnte. 140 Leute, arbeitende Leute, unter sich zu haben, das sind mehr als 2 arbeitende Kompanien, ist doch eine ganz respektable Tätigkeit. …

Jetzt bin ich wieder Laufgrabenoffizier. … Euch kann ich das nicht schreiben, was uns jetzt hier bewegt, weil es streng verboten ist, über Truppenverschiebungen und derartiges nach Hause zu berichten. Deshalb ist die Briefkontrolle in den Kompanien verschärft worden. Das Leben geht hier seinen alten Gang. Die Division drängt leider immer mehr und die Hetze wird jeden Tag ärger. … Gerhart schrieb mir, ich solle ihn doch besuchen. Möglichst bald, da sie dort dieselbe Ahnung haben wie wir. Er schrieb: vereor, ne prius quam omnes putent hostes aggrediamur. Ich habe vor 4 Tagen Urlaub eingereicht mit der Begründung, dass meine Atmungsorgane infolge meines Lungenschusses geschwächt wären und ich deshalb einer Luftveränderung bedürftig wäre. Das Gesuch ist ans Korps gegangen. Ich nehme an, dass es abschlägig beschieden werden wird, da nach dem gestrigen Regimentsbefehl Urlaub nur noch in dringenden Fällen, und zwar nur vom Korps (bisher konnten Mannschaften vom Regiment beurlaubt werden) gewährt würde. So bin ich hinten runtergerutscht. Major von Langsdorff, der sehr gichtleidend ist, wurde Erholungsurlaub auch verweigert. Ein bisschen Hoffnung habe ich aber doch, da ich noch keine negative Antwort habe. Bitte Lektüre! Goethes Meisterdramen in Reclam! Ich habe gar nichts Rechtes zu lesen. Sonst ist die Post von zuhause auch recht spärlich. Was aber kommt, ist exquisit. So die Basler Leckerli. – Dein Brief vom 24. des Monats freute mich sehr. Schön ist es, dass wir unser Haus so schnell losgeworden sind trotz der Kriegszeit. Ich denke, in Freiburg wird‘s auch nett werden. Mit den Herren meiner Kompanie stehe ich wirklich gut und das Zusammenleben ist nett. …

W.

„Der Konflikt“ (Fritz Kaufmann) – S. 4-10.

[S. 4]

 I. Über das Wesen der geschichtlichen Person

Wenn ich mich, hineingestellt in die Verwicklungen, Entwicklungen einer ungeheuren Geschichte frage: wodurch denn bin ich, außer dem, dass ich ein Substrat fließenden Bewusstseins, ein Lebewesen begabt mit natürlichen Kräften des Leibes und der Seele bin, wodurch bin ich Element des geschichtlichen Werdens, da ja dem Ich des bloßen reinen Bewusstseins die Weltwirksamkeit, dem natürlichen Leib-Seele-Wesen die geschichtebildende Kraft fehlt? Ich, der jetzt im Elternhaus sitzende Mensch, Bürger, Soldat, Student, bin nicht bloß wie ein Bett, in dem erlebte Inhalte immanenter Art oder mit transzendentem Bezuge aus erwarteter Zukunft in erinnerte Vergangenheit gleiten, nicht nur ein psychophysisches Wesen, das auf Eindrücke der psychischen und physischen Außenwelt mit leichter oder schwerer messbarer Gesetzlichkeit nach Eigenart und Leistungskraft seiner leiblich-seelischen Organe und Eigenschaften reagiert. Ein Blick auf das Wesen geschichtlicher Forschung belehrt über das Wesen des geschichtlichen Seins, dem sie genügen will, somit auch der geschichtlichen Person. Dem verstehenden Sicheinverleben auf der Aktseite entspricht der Intention nach auf der Gegenstandsseite, in der geschichtlichen Welt, ein dem Verständnis zugänglicher Sinnzusammenhang. Es wird nötig sein, mit einigen Worten zu sagen, was damit [S. 5]gemeint ist; es werden aber auch einige Worte genügen, da hier die Untersuchungen Husserls und seines Kreises, vor allem die vorbildlich klaren von Edith Stein[1], die Grundlage für Erörterungen schon geschaffen haben.

Diese Notwendigkeit besteht kaum für die Trennung des Sinnzusammenhangs vom Kausalnexus, dem ich selbstverständlich auch als natürliches Lebewesen unterworfen bin: Er setzt gewisse Bedingungen der Auslösbarkeit und der Weltwirksamkeit meiner Akte. Dieser Kausalnexus, der nur die tatsächliche Bedingtheit des bloßen Auftretens eines im Übrigen unerkannten Geschehnisses durch das Auftreten eines anderen für empirische Forschung sicherstellt, hat keinerlei Ähnlichkeit mit jener Sinngesetzlichkeit, die eine Einheit der Begreiflichkeit aus dem Zusammen und Nacheinander der Elemente ihres Bereiches schafft: eine der vernünftigen Einsicht verständliche Einheit deshalb, weil und soweit als sie selbst eine Einheit aus Vernunft ist. Während der Kausalnexus mit der Natur notwendig als Faktum mitgesetzt ist, weil im Wesen der Natur der Aufbau nach dem Schema Ursache-Wirkung gründet, ist die Sinngesetzlichkeit immer nur soweit realisiert, wie praktische Vernunft rein oder irrend die Wirklichkeit durchsetzt hat.[2] Damit ist auch der wichtigere Unterschied gekennzeichnet, der von Fundierungseinheit, d.h. Einheit des Wesens, und Motivationseinheit, d.h. Einheit [S. 6]des Sinnes. Fundierungseinheiten werden hergestellt durch jene wesentlichen Bindungen und Schichtungen von Fühlen auf theoretische Akte, von Wollen auf Fühlen usw. Nicht wie Sinneinheiten drängen sie erst im Sein drängend zur Wirklichkeit, sondern sind in ihm und zwar notwendig mitgegeben und strukturieren gemeinsam mit wahrnehmbaren wirksamen Eigenschaften das Ganze der seelischen Einheit, oder anders gesagt: Die seelische Einheit entsteht auf Grund differenzieller Anlagen aus der wesensmäßigen Fundierung der Subjektivitäten. Die geistige Einheit der Person dagegen wird durch das Werden eines Sinnzusammenhangs geschaffen, der das Auftreten und die Artung der Subjektivitäten aus Vernunft motiviert und nach Maßgabe personaler erlebbarer Eigenschaften verschiedener Tiefenstufen, die sich in ihnen enthüllen. Wenn ich das Werden eines Genius wie Napoleon verstehen will, so fasse ich es vornehmlich als Funktion gewisser Werte und Unwerte, in deren Entfaltung sich sein persönliches Wesen und dessen Tiefe enthüllt. Es sind dies solche Werte, die in der Stellungnahme und dem Verhältnis, die ich zu Wertrealitäten gewinne, zu erlebbarer Gegebenheit kommen, sich darin aussprechen, Werte wie Treue, wie Ehrliebe, Religiosität, Schönheitssinn, Erkenntnisdrang, Pflichtgefühl usw. – Werte, denen physisches Sein, animalische Kräfte, seelische Fähigkeiten nur Bedingungen des Auftretens vorschreiben. Diese geistigen Werteigenschaften suchen sowohl im Streben und Widerstreben, Wählen und Verwerfen der [S. 7]Person deren Stellung zu den Wertrealitäten ihrer Umwelt zu bestimmen, wie im Schaffen die Gestaltung und Umgestaltung, der sie die geschichtliche Wirklichkeit unterwirft. Also: eine geschichtliche Person ist konstituiert durch gewisse Werte, die ihr Richtungen der Selbstgestaltung und Weltgestaltung vorschreiben. Eine Person verstehen heißt: ihr Sein und Werden als Diktate dieses personalen Wertwesens begreifen.

Die Einheit der geschichtlichen Person, d.h. jene personale Geschlossenheit, die einen ungebrochenen Verständniszusammenhang ermöglicht, ist also durch ihren Vernunftcharakter nicht als feste Wirklichkeit, sondern als Aufgabe gesetzt – anders als die Einheit der Natur, ja auch als der Psyche in dieser. Ein Blick auf das Wesen der geistigen Struktur des Kindes, in dem erst die Keime des kommenden Seins zu treiben beginnen, lehrt Grund und Sinn dieser Aufgabe kennen.

Die Unfertigkeit des Kindes bedeutet neben der Unentwickeltheit seiner natürlichen Anlagen eine Undeterminiertheit, eine Vagheit der Strebungsrichtungen, in die Gesetz und Richtungsbestimmtheit erst mit der fortschreitenden Entfaltung der Persönlichkeit eintreten. Das personale Wertwesen enthüllt sich immer klarer in der Art, wie das Subjekt sein Leben, seine Umwelt gestaltet, Güter schafft und erstrebt, Wertverhältnisse eingeht und auflöst, Personen hasst und liebt. Mehr und mehr hat alles, worauf das Ich den Stempel der Bejahung drückt, auch an sich schon den Charakter der Verträglichkeit, ja – fordert sich untereinander zur [S. 8] Ergänzung: sodass eine gewisse Voraussicht möglich ist, wie sich das Subjekt zu gewissen Forderungen und Lockungen der Außenwelt, zu gewissen Personen und gewissen Leistungen, zu gewissen Fragen des Lebens stellen wird. Wir deduzieren daraus, was eine phänomenologische Beschreibung, wie wir hoffen, bestätigen würde: Das Wesen einer Person ist von Ursprung an seinen Elementen nach wie dem Gewichte nach vorgegeben, das diese Wertelemente im Gefüge der Person haben. Dieses Gefüge in Schichtung und Gliederung selbst aber entsteht erst in der Geschichte. Die Wertelemente bekommen ihre dem Wesen der Person gemäße Stellung durch Ausgewichtung, Schaffung personaler Zonen und Strukturen. Die Bildung der Person als Kosmos ist einigermaßen analog der Bildung eines großen Weltsystems. Wertatome haben untereinander Kräfte der Anziehung und Abstoßung, Beziehungen der Verträglichkeit und der Unverträglichkeit, der Ergänzungsfähigkeit und -bedürftigkeit oder der Ausschließlichkeit. Diese Atome sondern sich von jenen und schließen sich mit anderen zu molekularen Anlagezentren personalen Werdens zusammen, die in die Mitte des kindlichen Nebelsternes einzudringen suchen und sich gegenseitig ihre solarische oder planetarische Existenz anweisen. Je deutlicher sich in diesen Prozess der Ausgewichtung das Atom eines personalen Wertes, das Molekül eines Wertgefüges als Dominante des Wertwesens erweist, umso mehr werden andere Werteigenschaften mit in ihren Bannkreis gezogen, unverträgliche zu peripherischer Bedeutung herabgewürdigt, Ansätze zu anderen personalen [S. 9]Strukturen vorübergehend unterdrückt oder endgültig zerstört. So kristallisiert sich aus dem Chaos personaler Anlagen, aus vielfältigen Möglichkeiten die endliche Wirklichkeit der geschichtlichen Person.

Wir müssen nun begreifen, dass diese Personalität niemals zu endgültiger Festigkeit geschichtlicher Erscheinung erstarren kann. Dies unabänderliche Schicksal der Geschichtlichkeit gründet allerdings nicht in der Reinheit des Wesens Person, sondern in der Endlichkeit der Person. Vollendung und Vollkommenheit sind keine Kategorien des geschichtlichen Werdens, es gibt in der Geschichte keine abgeschlossene oder gar vollkommene Einheit derart, dass alles Sein und Geschehen sich je aus Vernunftgründen ganz verstehen oder gar ganz rechtfertigen ließe. Vielmehr ist die geschichtliche Entwicklung bemessen durch das Drängen nach dieser Einheit des Sinnes, die Annährung an sie, die Entfernung von ihr; und die Epochen und die führenden Persönlichkeiten treten aus dem geschichtlichen Flusse durch die vereinheitlichende Kraft und die besonders wirksame Ausprägung partikulärer Werttendenzen hervor. Die Einheit der Geschichte bedeutet nicht, wie Hegel‘scher Optimismus meint, die Einheit des Siegeszuges der Vernunft, durch die der geschichtliche Moment zur bloßen Durchgangsstation würde, sondern den permanenten, wenn auch veränderlichen Bezug der historischen Kräfte auf eine Einheit des Sinnes, eine Kontinuität der Entfaltung, die einen immer erneuten Ausgleichversuch von Wertinnenwelt und Wertaußenwelt [S. 10]der Personen darstellt.

[1] Stein, Zum Problem der Einfühlung. Halle 1917.

[2] Vernunft ist hier als die geistige Kraft verstanden, die die Akte einer Person durch Wertgerechtigkeit zu motivieren trachtet.

Royaumont Abbey 1957: the (famous) Husserl Congress

Troisième colloque philosophique de Royaumont, 23-30 avril 1957 [organisé par le Cercle culturel de Royaumont]

The Husserl conference took place in Royaumont one year before the “infamous 1958 Royaumont Colloquium on analytic philosophy”. Participants at the 1957 Royamount conference were: Hans-Georg Gadamer, Alexandre Koyré, Herman van Breda, Roman Ingarden, Eugen Fink, Alfred Schütz, Emanuel Levinas, Merleau-Ponty … – (the proceedings of the conference were published under the title “Husserl”, in French: Paris, Les éditions de Minuit, 1959 (Coll. Cahiers de Royaumont, Philosophie n°3)

“The theme of the 1958 meeting at Royaumont was the nature of analytic philosophy. The impressive list of speakers included Gilbert Ryle, J. L. Austin, P. F. Strawson, W. V. O. Quine, Bernard Williams, J. O. Urmson and R. M. Hare; and in the audience were A. J. Ayer, Charles Taylor, and continental philosophers such as JeanWahl, MauriceMerleau-Ponty and H. L.VanBreda, the founder of the Husserl-Archives in Leuven. It was hoped that this conference would lead to mutual understanding between Anglo-American philosophy, in particular ordinary language philosophy, and continental European philosophy, in particular phenomenology. The meeting was no success. In the words of someone who attended it, the conference was ‘a dialogue that didn’t come off . . . [F]ew left it much wiser than they came – at least as far as the subject of the conference wasconcerned’ (Taylor 1964, 132–3).” (See Søren Overgaard, (2010) ‘Royaumont Revisited’, British Journal for the History of Philosophy, 18: 5, 899—924.)

 

 

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Alfred Schütz and others at the the Royaumont conference 1957.

 

Speakers and topics of the Royaumont conference 1957.
Speakers and topics of the Royaumont conference 1957.

Maurice Merleau-Ponty was the first researcher from outside of Louvain to consult the Archives

Merleau-Ponty youngIn March 1939 Merleau-Ponty wrote a letter to Pater Van Breda (the following translation of the letter and the whole story about Merleau-Ponty’s visits can be found in: H-L. Van Breda, “Merleau-Ponty and the Husserl-Archives at Louvain”):

Monday, March 20 <1939>
Sir,
On the advice of Mr. Jean Hering, I am taking the liberty to request some information about the Nachlass of Husserl. Excuse me for forcing upon you the inconvenience of a response.
I am currently pursuing a study of the “Phenomenology of Perception” for which it would be extremely useful for me to acquaint myself with volume II of the Ideen. There was, I believe, a typed copied that Husserl’s students used to consult. Does this copy still exist, and do you think I would be able to consult it in Louvain? If you require letters of introduction from Prof. Brunschvicg or from another professor I would be very much obliged if you would notify me.
Allow me to ask you whether Fink’s work, a fragment of which just appeared in the “Revue internationale de philosophie” is to be published soon in Belgium.
Finally, I have been unable to procure a copy of Husserl’s posthumous work <Erfahrung und Urteil> published by Landgrebe at the Academia Verlag in Prague. I don’t expect to receive a response directly from Prague. I wonder if it is available in Belgium? (I haven’t seen it anywhere in Paris.) I would be very grateful if you could tell me if it is. I am all the more eager to read it since Prof. Koyré has entrusted me with an article for the homage to Husserl upcoming in “Recherches philosophiques” …
Yours truly,
<signed> Maurice Merleau-Ponty
Charge d’enseignement, Ecole normale superieure

Merleau-Ponty's letter to Pater Van Breda (March 1939)
Merleau-Ponty’s letter to Pater Van Breda (March 1939)

24.I.1916 “Jeden Augenblick wird man ans Telefon geholt”

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 24. I. 1916

 

Liebe Mama!                                                                                                                   Etain, den 24. 1. 1916

… Ich darf doch nicht mehr schreiben. Es ist ausdrücklich verboten, von Truppenverschiebungen u. a. zu berichten. Das Leben geht hier seinen alten Gang weiter. Hier und dort wird eine neue Stellung ausgebaut. Ich selbst habe viel zu tun. Man könnte meine Tätigkeit aufreibend nennen, da man viel Ärger und Unruhe hat. Ich verfüge aber über genügend Humor. Jeden Augenblick wird man ans Telefon geholt. Ich gehe mit dem Gedanken um, durch ein Gesuch ans Generalkommando zu erwirken, dass Gerhart zum Regiment 19 versetzt wird. Ich habe bei ihm brieflich angefragt, und wenn er will, werde ich die Sache dem Regimentskommandeur vortragen. Lohnt es sich auf 10 Tage – mehr kriegt man nicht – nach Hause zu fahren? Soll ich Urlaub einreichen? Werde morgen zu Herrn Major von Langsdorff deshalb gehen.

W.

The UNESCO and the Husserl-Archives

At the end of the 1940s, Van Breda managed to enlist the support of philosophers from all over the world in order to apply for long-term financial aid from the international organization UNESCO. Merleau-Ponty, Katz, Buytendijk, Gurwitsch, Plessner, Berger, Ricoeur, Schütz, Landgrebe, Fink, Ingarden and many others sent recommendation letters to the UNESCO (see below the part of David Katz’s letter to the UNESCO).

– As a result of the successful application in 1950 the first Husserliana volume („Cartesianische Meditationen“) was published with the financial support of the UNESCO.

The recommendation-letter which David Katz wrote to the UNESCO.
The recommendation-letter which David Katz wrote to the UNESCO.

 

The first Husserliana volume (1950) was published with the financial support of the UNESCO
The first Husserliana volume (1950) was published with the financial support of the UNESCO